
Nationalrat stellt wichtige Weichen beim Kartellgesetz
Das Wichtigste in Kürze:
- Künftig sollen Wettbewerbsabreden nur dann sanktioniert werden, wenn sie im konkreten Fall geeignet sind, den Wettbewerb zu beeinträchtigen.
- Der Nationalrat hat damit eine Differenz zum Ständerat geschaffen und einen Kompromissvorschlag zur Änderung der Artikel 5 und 7 des Kartellgesetzes vorgeschlagen.
- Der Entscheid bringt massive Verbesserungen beim Vollzug des Kartellrechtes, er stärkt die ökonomische Fundierung des Wettbewerbsrechts und wahrt zugleich dessen Durchsetzungskraft.
Der Nationalrat hat diese Woche einen wichtigen Grundsatzentscheid für ein zukunftsfähiges Kartellrecht gefällt: Er hat dem Vorschlag seiner vorberatenden Kommission (WAK-N) zur Änderung der Artikel 5 und 7 des Kartellgesetzes zugestimmt. Er schafft damit hinsichtlich der Differenzbereinigung eine Basis für einen Kompromiss mit dem Ständerat. Der Entscheid ist mehr als ein juristisches Detail: Er setzt ein klares Zeichen für mehr Augenmass und ökonomische Vernunft im Kartellrecht. Bemerkenswert war die Hartnäckigkeit, mit der in der gestrigen Debatte einige sachlich unzutreffende Aussagen wiederholt wurden. Wir möchten diese nachfolgend in den richtigen Kontext rücken.
Abkehr von der pauschalen Schädlichkeitsvermutung
Seit Jahren weist die Wirtschaft auf einen systematischen Mangel im Kartellrecht hin: Preis-, Mengen- oder Gebietsabsprachen werden pauschal verboten – unabhängig davon, ob sie den Wettbewerb im konkreten Fall tatsächlich beeinträchtigen. Der heutige Entscheid des Nationalrats stellt die Basis für eine überfällige Korrektur dar. Künftig soll berücksichtigt werden, ob eine Vereinbarung im Einzelfall spürbare Wettbewerbswirkungen entfaltet.
Die Änderung beruht auf einem sorgfältig austarierten Kompromiss. Sie schwächt das Kartellrecht nicht, sondern stärkt vielmehr seine Treffsicherheit.
Rechtssicherheit auch bei Missbrauchsaufsicht
Auch im Bereich der Missbrauchsaufsicht bringt der Vorschlag erfreuliche Klarheit. Bereits im Januar hatte das Bundesgericht seine frühere Praxis im Fall SIX/DCC aufgegeben und damit selbst eingeräumt, dass die bisherige formalistische Auslegung zu Unsicherheit geführt hat. Der Gesetzgeber ist nun gefordert, diese Korrektur im Gesetz zu widerspiegeln und damit Rechtssicherheit zu schaffen. Der Nationalrat hat diese Verantwortung wahrgenommen.
Ein starkes Signal – jetzt ist der Ständerat am Zug
Dem Nationalrat und seiner Kommission sind gelungen, in einem komplexen und technisch anspruchsvollen Dossier einen tragfähigen und sachlich ausgewogenen Kompromiss zu erarbeiten, der auf die Bedenken des Erstrates eingeht. Es ist eine sorgfältige und zielgerichtete Weiterentwicklung des Kartellrechts. Nun ist der Ständerat gehalten, diesen Weg mitzugehen.
Artikel 5 und 7 des Kartellgesetzes sind zentrale Instrumente zur Bekämpfung überhöhter Preise und sollen sicherstellen, dass Konsumentinnen und Konsumenten in der Schweiz «nicht abkassiert werden».
Das Kartellrecht schützt nicht direkt vor hohen Preisen, vielmehr sorgt es dafür, dass Wettbewerb funktioniert. Ist dies der Fall, profitieren Konsumentinnen und Konsumenten von besseren Angeboten, tieferen Preisen und mehr Auswahl. Das Kartellrecht greift somit ein, wenn Unternehmen den Wettbewerb systematisch behindern – etwa durch Absprachen. Ziel ist aber nicht eine Preisregulierung, sondern wirksamer Wettbewerb, der marktwirtschaftlich entstandene Preise ermöglicht. Wer das Kartellrecht nur als Mittel gegen hohe Preise sieht, verkennt seinen eigentlichen Zweck.
Die vorgeschlagenen Änderungen würden eine Rückkehr zu einer Rechtslage vor dem richtungsweisenden Bundesgerichtsentscheid vom 28. Juni 2016 bedeuten. Damals wurde klargestellt, dass bei bestimmten Abreden eine qualitative Beurteilung genügt – ein zusätzlicher quantitativer Nachweis sei nicht erforderlich. Dies entspricht dem Sinn und Zweck des Kartellrechts, da es sich um Konstellationen handelt, die erfahrungsgemäss den Wettbewerb untergraben und grundlegenden Prinzipien der Wettbewerbsordnung zuwiderlaufen.
Es gibt unbestritten Absprachen, die den Wettbewerb stark einschränken und deshalb zu Recht verboten sind. Die heutige Praxis geht aber oftmals zu weit: Unter die grundsätzlich verbotenen «Kernbeschränkungen» fallen wiederholt auch Formen der Zusammenarbeit, die in der Realität gar nicht schädlich für den Wettbewerb sind. In solchen Fällen braucht es eine genaue Prüfung – zum Beispiel anhand von Marktanteilen, Umsätzen oder der Marktstruktur.
Ein Beispiel: Mehrere unabhängige Apotheken oder Drogerien arbeiten zusammen, um eine digitale Bestellplattform aufzubauen oder ihre Logistik zu verbessern. So können sie sich gegen grosse Konzerne mit eigenen Marken und Vertriebskanälen behaupten. Diese Art von Kooperation stärkt den Wettbewerb, statt ihn zu schwächen.
Wenn das Kartellrecht allein auf formale Kriterien abstellt, wie es die heutige Rechtsprechung tut, werden solche positiven und gewünschten Effekte ignoriert. Es würde nicht der Wettbewerb geschützt – sondern es würden Unternehmen benachteiligt, sich in schwierigen Märkten durch Zusammenarbeit zu behaupten.
Deshalb braucht es eine Korrektur: Das Kartellrecht soll den Wettbewerb stärken, nicht unnötig behindern – und zwar anhand der tatsächlichen Wirkung im Markt.
Man kann es vereinfacht so sagen: Wer bei Rot über die Strasse geht, macht sich strafbar – auch wenn dabei nichts passiert ist. Denn das Verhalten ist an sich gefährlich und deshalb verboten. Ähnlich ist es hier: Bestimmte Wettbewerbsbeschränkungen sind verboten, weil sie grundsätzlich schädlich für den Wettbewerb sind – nicht erst, wenn ein konkreter Schaden nachgewiesen werden kann.
Der Vergleich mit dem Strassenverkehr ist im Kartellrecht wenig hilfreich und führt eher zu Missverständnissen. Wer bei Rot über die Strasse geht, gefährdet nachweislich die Sicherheit – deshalb ist das Verhalten pauschal verboten und wird mit einer Busse geahndet.
Im Kartellrecht geht es jedoch um viel schwerwiegendere Konsequenzen: lange Verfahren, hohe Bussen und erhebliche Risiken für das Unternehmen. Solche Eingriffe brauchen sorgfältige rechtliche Prüfungen und dürfen nicht einfach mit einem allgemeinen Gefährdungshinweis begründet werden.
Zudem ist die zentrale Frage im Kartellrecht, ob ein Verhalten den Wettbewerb tatsächlich oder möglicherweise beeinträchtigt. Das lässt sich nicht mit einer fixen Regel wie im Strassenverkehr klären, sondern erfordert eine genaue Analyse der konkreten Marktsituation. Wer das Kartellrecht zu stark vereinfacht, riskiert, wichtige Unterschiede zu übersehen – insbesondere den Anspruch auf eine sachgerechte und differenzierte Bewertung.
«Nach der Revision wäre dieser Fall [BMW] nicht mehr möglich.»
Die WEKO hat im Fall BMW ihre Verfügung noch vor dem Gaba-Entscheid des Bundesgerichts erlassen. Damals prüfte sie zusätzlich, ob die Wettbewerbsbeeinträchtigung auch quantitativ erheblich war. In der Verfügung steht ausdrücklich, dass sowohl qualitative als auch quantitative Kriterien berücksichtigt und im Einzelfall gemeinsam bewertet werden. (Rn. 278 f.) Der Fall zeigt: Die WEKO konnte schon vor dem Gaba-Urteil die wirtschaftliche Bedeutung einer Abrede nachvollziehbar einschätzen und auf dieser Grundlage eine Busse verhängen.
«Zu Artikel 7 Absatz 3 bezüglich das marktbeherrschende Verhalten: Man will auch hier eine neue Formulierung einführen, analog zur Abschwächung in Artikel 5 Absatz 1bis. Auch diese Abweichung vom geltenden Recht bringt Unsicherheit und lädt geradezu zu Rechtsstreitigkeiten ein.»
Die Ergänzung in Artikel 7 Absatz 3 ist keine Änderung, sondern eine Klarstellung der geltenden Rechtsprechung. Das Bundesgericht hat 2024 klargestellt, dass marktbeherrschendes Verhalten im Einzelfall beurteilt werden muss. Der Gesetzestext übernimmt diese Linie – laut WBF ausdrücklich ohne materielle Neuerung.
Wer hier von Unsicherheit spricht, verkennt die Lage: Nicht die Klarstellung erhöht das Risiko von Streitigkeiten, sondern ihr Verzicht. Die Änderung schafft Rechtssicherheit, indem sie eine bereits vollzogene Korrektur festschreibt.
«Artikel 5 schützt vor Absprachen zwischen Unternehmen, zum Beispiel, wenn zwei Grossverteiler abmachen, ihre Preise nicht zu unterbieten, oder wenn Grosshändler durch Absprachen ihre Lieferanten unter Druck setzen. Solche Kartelle sind ein Problem und zum Nachteil für Konsumentinnen und Konsumenten, für andere nicht eingebundene Produzentinnen und Produzenten sowie für deren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Die Mehrheit der WAK-N möchte, dass zukünftig auch bei harten Wettbewerbsabreden grundsätzlich eine Prüfung von quantitativen Elementen erforderlich sein soll.»
Das Beispiel zeigt, worauf es im Kartellrecht ankommt: Entscheidend ist, ob die Beteiligten genug Marktmacht haben, um den Wettbewerb wirklich zu beeinflussen. Wenn zwei grosse Detailhändler Preisabsprachen machen, ist klar, dass das problematisch ist – ihre Stellung verleiht solchen Absprachen Wirkung. Hier bleibt ein Eingreifen auch unter dem neuen Recht möglich.
Anders sieht es aus, wenn etwa zwei kleine Landwirtschaftsbetriebe gemeinsam vermarkten. Das gefährdet den Wettbewerb nicht automatisch – im Gegenteil, es kann sogar helfen, dass kleinere Anbieter überhaupt mithalten können.
Genau darum geht es bei der Revision: Abreden sollen nicht automatisch verboten sein, nur weil sie formal eine gewisse Form haben. Es soll unterschieden werden, ob sie im Markt wirklich etwas bewirken. Das bringt mehr Treffsicherheit und Fairness – und ist ein Fortschritt, kein Rückschritt.
Ausserdem würde das gegen Artikel 23 des Freihandelsabkommens mit der EU verstossen – und könnte sich negativ auf die Schweiz auswirken
Die Schweiz regelt ihre Wettbewerbspolitik eigenständig. Das Freihandelsabkommen mit der EU verlangt keine Anpassung an europäisches Wettbewerbsrecht – im Gegenteil: Schon 1972 wurde klar festgehalten, dass das Abkommen keine Pflicht zur Änderung des Schweizer Kartellgesetzes mit sich bringt. Stattdessen wurde vereinbart, dass beide Seiten ihre eigenen Regeln behalten und diese selbst umsetzen. Die geplante Revision des Kartellgesetzes verstösst daher weder gegen das Abkommen noch gegen internationales Recht, sondern entspricht umfassend der schweizerischen Gesetzgebungshoheit.