
Wichtiges Signal des Bundesgerichts für den Gesetzgeber
Das Wichtigste in Kürze:
- Das Bundesgericht passt seine Praxis zur Missbrauchskontrolle an und bestätigt damit die grosse Kritik der Wirtschaft an der bisherigen Praxis – ein wichtiger Schritt.
- Der Handlungsbedarf des Gesetzgebers bleibt trotz dieses Urteils bestehen – die Praxis des Bundesgerichts muss klar im Gesetz verankert werden, damit die Unternehmen ausreichend Rechtssicherheit haben.
- Der Nationalrat muss auf Basis der Arbeiten seiner vorberatenden Kommission im Sommer nun die entsprechenden Weichenstellungen vornehmen.
Das Bundesgericht hatte 2023 in einem Fall zum Unternehmen SIX zu beurteilen, ob dessen dynamische Währungsumrechnung (Dynamic Currency Conversion – DCC) wettbewerbsmässig korrekt sei. Es entschied, dass bereits ein abstraktes Gefährdungspotenzial ausreiche, um ein Verhalten marktbeherrschender Unternehmen als Missbrauch zu qualifizieren. Ob tatsächlich eine Beeinträchtigung des Wettbewerbs drohte, hielt es für unerheblich. Diese Sichtweise wurde von Wirtschaft und Wissenschaft scharf kritisiert: Sie förderte eine schematische Anwendung des Missbrauchsverbots, schuf erhebliche Rechtsunsicherheit und schwächte die Grundlage für fundierte Einzelfallprüfungen.
Der neue Entscheid: eine notwendige Korrektur
Mit dem kürzlich veröffentlichten Entscheid rückt das Bundesgericht nun von dieser schädlichen Praxis ab:
«Eine rein abstrakte Eignung einer Massnahme genügt jedoch nicht, sondern es muss dargetan werden, dass die Verhaltensweise unter den konkreten Marktbedingungen diese Wirkungseignung hat.»
Vielmehr sei nachzuweisen, dass das Verhalten unter den konkreten Marktbedingungen tatsächlich potenziell geeignet sei, den Wettbewerb zu beeinträchtigen. Eine bloss theoretische Gefahr reiche nicht. Die Wettbewerbskommission muss darlegen, wie und unter welchen Umständen eine Wettbewerbsbehinderung zu erwarten ist. Kurz: Das Bundesgericht rückt den Fokus wieder auf den Einzelfall und die ökonomischen Wirkungen – eine längst überfällige Rückbesinnung auf rechtsstaatliche und wirtschaftslogische Grundprinzipien.
Der Gesetzgeber bleibt trotzdem gefordert
So wichtig diese Korrektur ist – sie löst das Grundproblem der lähmenden Rechtsunsicherheit für die Wirtschaft nicht. Dass das höchste Gericht innerhalb weniger Jahre zu derselben Norm völlig unterschiedliche Aussagen trifft, zeigt den gesetzgeberischen Handlungsbedarf deutlich auf. Die offene Auslegung von Art. 7 KG führt zu Unsicherheit und erhöhten Risiken für Unternehmen, insbesondere in dynamischen Märkten. Angesichts der strengen Sanktionsdrohungen im Kartellrecht ist diese Situation untragbar.
Nur der Gesetzgeber kann hier nachhaltig Sicherheit schaffen. Die laufende Teilrevision des Kartellgesetzes bietet die Chance, eine klare, ausgewogene und praxistaugliche Definition des Missbrauchstatbestands zu schaffen.
Schutz des Wettbewerbs, nicht pauschale Bestrafung wirtschaftlicher Stärke
Die Wirtschaft setzt sich für einen wirksamen Wettbewerbsschutz ein. Missbräuchliches Verhalten marktmächtiger Unternehmen muss sanktioniert werden – dies aber differenziert und ökonomisch begründet. Es braucht ein Kartellrecht, das ökonomisch tragfähig ist, Rechtssicherheit bietet und Innovation nicht behindert.
Das Bundesgericht hat mit seiner Präzisierung bestätigt, dass die Anliegen der Wirtschaft berechtigt sind. Es geht bei den Forderungen der Wirtschaft nicht um eine Schwächung der Behörden, sondern um rechtsstaatlich saubere Verfahren und sachgerechte, nachvollziehbare Kriterien. Das Bundesgericht hat nun vorgelegt – jetzt ist der Gesetzgeber am Zug.
Die Kurskorrektur des Bundesgerichts ist ein starkes Signal und eine Bestätigung der Forderungen der Wirtschaft zur Stärkung der Einzelfallbetrachtung. Das Urteil ist aber kein Ersatz für eine gesetzliche Klärung. Der Ball liegt nun in der Sommersession beim Nationalrat. Die vorbereitende Kommission hat die entsprechende Vorarbeit bereits geleistet.
Worum geht es im Verfahren?
Das Verfahren betrifft die Nutzung und Verbreitung von medizinischen Produktinformationen, also Daten zu Medikamenten, Medizinprodukten und verwandten Artikeln. Solche Informationen – wie Wirkstoff, Dosierung oder Nebenwirkungen – sind für Ärztinnen und Ärzte, Spitäler, Apotheken und Versicherungen unerlässlich. Diese Angaben sind öffentlich auf der Plattform AIPS zugänglich, werden jedoch von der Firma HCI Solutions AG zusätzlich aufbereitet, strukturiert und kommerziell weiterverwendet.
Was warf die Wettbewerbskommission (WEKO) HCI Solutions vor?
Die WEKO stellte 2016 fest, dass HCI Solutions auf dem Markt für solche Medikamenteninformationen eine marktbeherrschende Stellung hatte – und diese missbräuchlich ausnutzte. Konkret:
- Softwarehäuser wurden durch Verträge an HCI Solutions gebunden (z. B. durch Alleinbezugsklauseln),
- Pharmafirmen mussten für bestimmte Leistungen gebündelte Angebote akzeptieren,
- Preise für bestimmte Dienstleistungen (z. B. Qualitätskontrollen) waren nicht kostenbasiert.
Deshalb verhängte die WEKO eine Sanktion von rund 4,5 Millionen Franken gegen HCI Solutions und deren damalige Muttergesellschaft Galenica AG (heute: Vifor Pharma).
Was geschah vor Gericht?
Nach Beschwerden der betroffenen Unternehmen bestätigte das Bundesverwaltungsgericht 2022 im Wesentlichen den Missbrauch, reduzierte aber die Busse auf ca. 3,8 Millionen Franken. Es stellte zudem klar, dass nur HCI Solutions verantwortlich sei – nicht mehr die Galenica AG.
Die Unternehmen legten daraufhin Beschwerde beim Bundesgericht ein, das am 23. Januar 2025 in öffentlicher Verhandlung über den Fall entschied.