Mehr­wert­steu­er auf Ab­we­gen

Die Mehr­wert­steu­er muss ein­fa­cher wer­den. So das Ziel der letz­ten To­tal­re­vi­si­on. Doch davon will die Po­li­tik of­fen­bar nichts mehr wis­sen. Statt die Mehr­wert­steu­er zu ver­ein­fa­chen, packt sie stän­dig neue Pri­vi­le­gi­en rein und ver­kom­pli­ziert sie lau­fend. Eine ein­fa­che Mehr­wert­steu­er mit einem tie­fen Ein­heits­steu­er­satz und mög­lichst we­ni­gen Aus­nah­men muss ein wich­ti­ges steu­er­po­li­ti­sches Ziel der Schweiz blei­ben.

Vor zehn Jah­ren nahm sich Bun­des­bern Gros­ses vor: die To­tal­re­vi­si­on der Mehr­wert­steu­er. Das Pro­jekt hatte gute Grün­de. 1995 ein­ge­führt, war die Mehr­wert­steu­er für weite Teile der Wirt­schaft zum un­ver­ständ­li­chen, ri­si­ko­rei­chen, kost­spie­li­gen Mons­trum ge­wor­den. Die unter alt Bun­des­rat Merz rasch vor­an­ge­trie­be­ne und 2010 um­ge­setz­te To­tal­re­vi­si­on mach­te die Steu­er kla­rer und sys­te­ma­ti­scher, schränk­te den For­ma­lis­mus ein und stärk­te die Rech­te der Steu­er­pflich­ti­gen, das heisst der Un­ter­neh­men. Ein Haupt­pro­blem aber – ein Haupt­an­trieb der da­ma­li­gen Re­form – wurde nicht an­ge­packt: die hohe Kom­ple­xi­tät der Mehr­wert­steu­er durch drei Steu­er­sät­ze und fast 30 Grup­pen von Steu­er­aus­nah­men.

Eine kon­se­quent ver­ein­fach­te Mehr­wert­steu­er mit einem Ein­heits­satz und we­ni­gen Steu­er­aus­nah­men war für den zwei­ten Teil der Re­form ge­plant. Er soll­te nicht nur die Fir­men wei­ter ent­las­ten, son­dern auch volks­wirt­schaft­li­ches Po­ten­zi­al nut­zen. Von einer Ver­brei­te­rung der Steu­er­ba­sis und einer ein­heit­li­chen, un­ver­zerr­ten, mög­lichst tie­fen Steu­er wur­den Im­pul­se im Mil­li­ar­den­be­reich für die hie­si­ge Pro­duk­ti­on und Be­schäf­ti­gung und die Ein­kom­men der Pri­vat­haus­hal­te er­war­tet. Die Ver­ein­fa­chung war gut ge­plant und ver­hält­nis­mäs­sig ein­fach um­setz­bar, weil die Mehr­wert­steu­er als reine Bun­des­steu­er die Kan­to­ne und Ge­mein­den di­rekt nicht be­trifft. Aus po­li­ti­schen Grün­den schei­ter­te das Vor­ha­ben – lei­der.

Statt um die eine gros­se Ver­ein­fa­chung für alle ging es im Fol­gen­den in hoher Ka­denz le­dig­lich noch um par­ti­el­le Ent­las­tun­gen für be­stimm­te Leis­tun­gen und Grup­pen.

Denn was zu er­war­ten war, wurde bald ma­ni­fest: Statt um die eine gros­se Ver­ein­fa­chung für alle ging es im Fol­gen­den in hoher Ka­denz le­dig­lich noch um par­ti­el­le Ent­las­tun­gen für be­stimm­te Leis­tun­gen und Grup­pen. Die Wirte mach­ten den An­fang mit der ge­schei­ter­ten Gas­tro-In­itia­ti­ve, es folg­te die Un­ter­stel­lung von elek­tro­ni­schen Bü­chern und Zeit­schrif­ten unter den re­du­zier­ten Steu­er­satz, hän­gig sind Vor­stös­se für eine hö­he­re Min­dest­um­satz­gren­ze und eine neue Steu­er­aus­nah­me für Kul­tur­an­läs­se.

Das jüngs­te Mus­ter in der Reihe ist der Vor­stoss «Re­du­zier­ter Steu­er­satz für Da­men­hy­gie­ne­ar­ti­kel». Sol­che Ar­ti­kel, so die Be­grün­dung, gel­ten – an­ders als zum Bei­spiel Schnitt­blu­men – bei der Mehr­wert­steu­er nicht als le­bens­not­wen­di­ge Güter und wer­den darum mit dem Nor­mal­satz von ak­tu­ell 7,7 Pro­zent und nicht mit dem re­du­zier­ten Satz von 2,5 Pro­zent be­steu­ert. Frau­en seien da­durch «stark be­nach­tei­ligt», der «pa­ra­do­xen und be­fremd­li­chen» Un­gleich­be­hand­lung von Män­nern und Frau­en bei den Le­bens­hal­tungs­kos­ten sei ein Ende zu set­zen. Diese Be­grün­dung ist ku­ri­os, denn die Schwei­zer Mehr­wert­steu­er hat kei­nen «Gen­der Bias»: Schnitt­blu­men sind nicht «männ­lich», und auch der Ra­sie­rer wird nicht pri­vi­le­giert be­steu­ert. Der Vor­stoss adres­siert be­rech­tig­ter­wei­se die zahl­lo­sen Un­gleich­be­hand­lun­gen bei der Kon­sum­be­steue­rung. Falsch ist je­doch der An­satz: Statt die un­be­rech­tig­ten Pri­vi­le­gi­en ab­zu­bau­en, sol­len sie noch wei­ter aus­ge­baut wer­den.

In einem frü­he­ren Vor­stoss wurde die pri­vi­le­gier­te Be­steue­rung sämt­li­cher «grund­le­gen­der Hy­gie­ne­ar­ti­kel» ein­schliess­lich Zahn­pas­ta, Seife oder WC-Pa­pier ge­for­dert. Der Bun­des­rat ar­gu­men­tier­te klar da­ge­gen. Es sei ein Dau­er­ziel, die Mehr­wert­steu­er zu ver­ein­fa­chen und nicht noch wei­ter zu ver­kom­pli­zie­ren. Lei­der scheint man von die­ser kon­se­quen­ten Hal­tung in­zwi­schen ab­ge­rückt zu sein. Den neuen Vor­stoss hat der Bun­des­rat an­ge­nom­men. Eben­so der Na­tio­nal­rat, und zwar ohne jede Dis­kus­si­on. Das ist be­dau­er­lich und soll­te nicht Schu­le ma­chen. Der Stän­de­rat soll­te die Chan­ce nut­zen und die Fehl­ent­wick­lung kor­ri­gie­ren.

Mehrwertsteuer und Münzen

Eine ein­fa­che Mehr­wert­steu­er mit einem tie­fen Ein­heits­steu­er­satz und mög­lichst we­ni­gen Steu­er­aus­nah­men muss ein wich­ti­ges steu­er­po­li­ti­sches Ziel der Schweiz blei­ben. Unter allen mass­geb­li­chen Ge­sichts­punk­ten – Gleich­be­hand­lung aller Leis­tun­gen und Bran­chen; eine ein­heit­lich tiefe Steu­er­be­las­tung, die den Kon­sum nicht ver­zerrt; Abbau von Kom­ple­xi­tät und einer immer noch hohen Bü­ro­kra­tie; Stär­kung der Kauf­kraft der Pri­vat­haus­hal­te – schnei­det diese Lö­sung un­be­streit­bar am bes­ten ab.

Zu den ge­wich­ti­gen eben­falls noch un­ge­lös­ten Mehr­wert­steu­er­fra­gen ge­hört die Be­hand­lung der Sub­ven­tio­nen. Weil eine ab­schlies­sen­de Lö­sung die­ser Frage auch fi­nanz­po­li­tisch an­spruchs­voll ist, braucht es eine grös­se­re Re­form. Die grund­le­gen­de Neu­ord­nung der Schwei­zer Mehr­wert­steu­er soll­te in die­sem Rah­men wie­der auf­ge­nom­men und zum Nut­zen aller in die­sem Land – der Fir­men wie des Staats, der Kon­su­mie­ren­den un­ab­hän­gig vom Ge­schlecht – end­lich um­ge­setzt wer­den.